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Die Poesie des Biers

Mehr als fünf Jahre nach der Erstauflage der »Poesie des Biers« hat Jürgen Roth nicht nur ergänzendes Textmaterial gesammelt, sondern auch viele neue Biere getestet, die in gewohnt süffisant-kritischer, aber immer ehrlicher Weise vom Autor gewürdigt oder verdammt werden.

Etwa 800 weitere Biere wollten noch mal eben für den Anhang verköstigt und verschriftlicht sein, dazu alle Haupttexte tagtäglich gnadenlos geschliffen und gefeilt, bis der Autor endlich seine Einwilligung zur Veröffentlichung ausspricht. Beim Verfassen dieser Zeilen verköstigt er schon wieder ein paar neue Biere etc., pipapo ...


Leseprobe:

Bier im Schuh
 
Als ich vom Sportschwimmen die Nase voll und durch ebendiese genügend Chlor inhaliert hatte, wurde ich Handballer.
Wir zogen vom gefährlich nah ans holländische Drogenzentrum Heerlen grenzenden Städtchen Brunssum zurück nach Deutschland. In St. Augustin, einer Bonner Schlafstadt, bezogen wir ein Klinkerhaus mit Glasbacksteinen als Toilettenfenstern.
In diesem Haus konnte ich nicht den ganzen Tag herumhocken. Ich mußte etwas tun und auch mal raus. Ich meldete mich im Handballverein an, denn Handball hatte mir im Schulsport immer schon gefallen. Beim Handball wurdest du nicht als einzelner, als dem notengebenden Schleifer Ausgelieferter examiniert, wie etwa beim Pferdsprung oder beim Ringen an den Ringen, sondern du warst aufgehoben in einem Kollektiv, das dich agieren ließ, ohne dich zu traktieren. Handball in der Schule war Schulung gewesen – Schulung der Wahrnehmung, daß du nicht allein dein Dasein zu bezwingen verdammt bist, sondern daß du zwanglos, spielend einen Vertrag mit anderen darüber abschließt, sich gegenseitig zu unterstützen. Das ist wohl das respektabel Humane am Mannschaftssport, solange er nicht als Wettbewerbssport betrieben wird.
Ich war also, endlich erlöst vom endlosen Kachelzählen, im Handballverein gelandet, und ich startete meine neue Karriere bravourös. Im dritten oder vierten Training brach ich mir den linken Ringfinger, weil ich ein Zuspiel nur mit einer Hand annahm, aber ich machte weiter, ich zeigte Härte. Ich biß den Schmerz hinunter und ließ mir nichts anmerken. Denn ich wollte spielen, an den Wettkampfsonntagen. Das war das Ziel.
Ich erreichte mein Ziel, doch mit dem Erreichen des Ziels waren neue Ziele verbunden. Die neuen Ziele kündigten sich schon vor dem eigentlichen Ziel, dem Spiel, an. Schon vor dem Spiel, als man sich vor einer Sporthalle im Rhein-Sieg-Kreis traf, in der man gleich das so fiebrig erwartete Match zu bestreiten hoffte, sagten einem die Mitspieler, daß sie schon sehr gut, ja hervorragend »drauf« seien heute morgen.
Doch, doch, man habe schon mal, heute sei ja Sonn- und Spieltag, ein, zwei Große gewuppt und sich von innen schön geölt, sagten der Lange, der Center, und der Kurze, der Dicke, unisono, das gehöre sich so. Wir standen vor dieser Halle, und ich war nervös. Der Lange und der Kurz-Dicke kicherten, sie demonstrierten eine Leichtigkeit, die mir ganz fremd war, mir, der von einem Fuß auf den anderen trat, weil ich ja doch endlich ein Spiel bestreiten wollte und mich bewähren mußte. Ansonsten, im Falle des Versagens, drohte »die Bank«.
Doch, taktisch aufgetankt habe man schon mal, sagten die beiden. Der Trainer, ein untersetzter Metzger, fuhr vor, pellte sich aus seinem Auto und führte uns in die nach Bohnerwachs riechende Halle.


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978-3-946938-53-8, Broschur, 804 Seiten, 3. Auflage. Auch als E-Book in allen gängigen Formaten erhältlich für 9,99 EUR!